Die Harmonie der Orgeln mit der Architektur
Corneille F. Janssen, Architekt
Vor dem Entwurf der neuen Orgelgehäuse musste die Frage entschieden werden, ob eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes nach der Stichradierung von Melchior Küssel von 1682 und den um 1850 entstandenen Lithografien nach Zeichnungen von Georg Pezolt angestrebt oder ob eine neue Form gefunden werden sollte.
Wir haben schließlich eine Wiederherstellung des historischen Zustandes vor allem deshalb nicht angestrebt, weil die von Küssel und Pezolt abgebildeten Gehäuse in ihrer Form nicht überzeugt haben. Sie sahen aus, als ob man jeweils drei selbständige schrankförmige Gebilde aneinandergeschoben hätte. In der Tat ist es nicht leicht, ein um einen Pfeiler herumreichendes Gehäuse zu schaffen, das eine innere Einheit aufweist. Es schien uns aber unverzichtbar, eine solche Einheit bei den neu zu schaffenden Prospekten anzustreben.
Zusätzlich stellte sich das nicht minder bedeutsame Problem der Übereinstimmung der neuen Gehäuse mit den Altären und dem Prospekt der großen Orgel. Die Einheit des Dominnenraumes wird durch die klassische Architektursprache gewährleistet. In dieser „Sprache“ hat der Dombaumeister Santino Solari (1576–1646) die Proportionsvorschriften von Vincenzo Scamozzi (1552–1616) befolgt – Vorschriften, die auch bei den Altären und der Westorgel eingehalten wurden.
Es war darum naheliegend, in den Entwurf der neuen Prospekte ebenfalls die Proportionslehre Scamozzis einfließen zu lassen. Überdies schien es uns notwendig, die Säulen- und Pilasterordnung der neuen Gehäuse entsprechend den Prinzipien klassischer Architektur in Beziehung zur großen römischen Pilasterordnung des Dominnenraumes zu bringen.
Wurde auf diese Weise die Einbindung der neuen Gehäuse in die Architektur des Domes angestrebt, so verblieb nur noch die Aufgabe, den inneren Zusammenhang der Prospekte zu sichern. Dafür haben wir ein baukünstlerisches Motiv aufgegriffen, das von dem Architekten Sebastian Serlio (1475–1555) „erfunden“ und unter dem Namen „Serliana“ bekannt wurde. Es besteht aus einem rundbogigen „Tor“, begleitet von zwei hochrechteckigen Öffnungen, die nur bis zur Geburt des runden Bogens hinaufreichen. Dieses Motiv wurde von Scamozzi sehr oft verwendet, so dass es in England, wenn es als Fenster erscheint, mit „Scamozzi-Window“ bezeichnet wird.
Dieses Motiv beherrscht den Entwurf der neuen Gehäuse. In der Mitte finden wir eine rundbogige Öffnung, gerahmt von korinthischen Dreiviertelsäulen. Der Bogen ruht auf dem Gesims einer ionischen Pilasterstellung, die nach beiden Seiten rechteckige Felder abgrenzt. Innerhalb dieser ionischen Ordnung finden sich wieder Bögen, die sich aber nicht auf ein ionisches Gesims, sondern auf einen sogenannten Impost stützen: ein einfach profiliertes kapitellförmiges Element. Das Impost-Profil setzt sich links und rechts der Bögen als ein Gesims fort, das seinerseits weniger hohe, rechteckige Felder nach oben hin abschließt. Zur Mitte der Gehäuse hin enthalten diese Felder Prospektpfeifen, nach außen erscheinen diese in den zu den Pfeilern reichenden geschlossenen Seitenwänden.
Das Ziel des Entwurfs war es also, die Orgeln so zu gestalten, dass sie sich in das Ganze des Dominnenraumes so harmonisch einfügen, als seien sie schon immer in der Architektur vorhanden gewesen.